Lesen. Hören. Schreiben. 37 Endspurt II.

Alles passt.
Stimmt nicht.
Zweifel wachen auf. Wachsen, versammeln sich. Eine unheimliche Gesellschaft, irgendwie vermummt, zu keiner klaren Aussage fähig. Agiert mit psychologischen Tricks und ist mit Autorität („Hinweg!)“ nicht zu bekämpfen.
Maßnahmen:
o) Den Text mal ruhen lassen. Nicht neu aufkochen, nicht gären lassen.
o) Noch mehr recherchieren. Und wenn es nur ein Detail bestätigt, ergänzt und bestens positioniert, smile.
o) Extra-LeseDurchgang, nur um Adjektiva zu prüfen und ev. zu streichen. – Ausgeschlossen. Ergebnis zu unvorhersehbar, ernüchternd, deprimierend, und es macht die Satzrhythmen kaputt.
o) Selbst mal ruhen. Oke. Nur, ich hab den Verdacht, Text schleicht sich heran und stört.
o) Sinnvolle Ablenkung: Lässt sich aus Opernzitaten eine Geschichte basteln? – Am stillen Herd zur Winterszeit will der Herr Graf ein Tänzchen nun wagen… / Motivationsmotivation: Belohnungen fürs Après planen. / Schlafen.
o) Den Anfang umschmeißen und neu schreiben. Er ist nur noch mit Unmengen an Kaffee und Disziplin zu lesen, weil zu oft durchgekaut, überflogen, ertragen. – Einwand: Ein neuer Anfang unterminiert den ganzen Rest.
Was ist zu tun?
Weitermachen. Bis zum Ende. So einfach schreibt es sich hin.

Hören. Lesen. Schreiben. 36 Exxkurssse: Ja!

Ich kann Exkurse gut leiden. Sie müssen nirgendwohin führen. Sie machen die handelnden Personen zu einem Kurzzeitspielball des Unwägbaren. Und wenn nach dem Exkurs die Handlung an den Ausgangspunkt zurückzukehren scheint,  befindet sie sich bestimmt zwei Meter weiter / daneben / ver-rückt.
Ungefähr so:

Person A und Person B auf Reise. Sie belegen zwei gegenüberliegende Sitzplätze im Intercity von C nach D.
Person A liest.
Person B beobachtet Person A auf abwertend-amüsierte Weise, weil das Buch ihm offenbar selbst bekannt ist. Als Person A für Sekunden aus der Lektüre auftaucht und die Augen sich in einem Blick auf die Felder vorm Zugfenster erholen lässt, wendet Person B sich mit einer höflichen Frage an Person A: …diese authentischen Erinnerungen an die Kindheit. Als wüssten Kinder um die Lügen, die Unvollkommenheiten ihrer Eltern, um sie Jahrzehnte danach wiedergeben zu können: als bedeutsam schon früh erkannt!

A: Es ist das selektive Hervorkramen, im Dienst einer überzeugenden Dramaturgie, würde ich sagen.

B: Trotzdem unehrlich. – Wenn ich mich erinnere, mir fällt als erstes ein, dass ich nie Hunger leiden musste.  Lacht. Und der Duft von Ofenkartoffeln!

A:  Ofen-was? Es heißt natürlich Bratene mit Salz und Butter!

B: Ofenkartoffeln!

A: Bratene mit Butter und Salz!

B: Ofenkartoffeln! Mit Rahm und Schnittlauch!

A: Rahm? Wo sind wir denn, in Ungarn?

B: Ungarn! Ich denke so gerne daran…Ungarn, Plattensee  und Krumplik

A: Steckt da drin nicht unsere Mundart-Version GrundBirn?

B: Und die Verwandtschaft aus dem Westen: Pommes de terre. Man glaubt, die feuchte Erde zu riechen…
Ich baue jedes Jahr eine andere Sorte an. Und möchte meine Enkel motivieren, mitzugraben, zu ernten. Aber, die haben zu tun, Sport und Freunde…

A: Wenn sie sich später an diese Zeit erinnern werden, sehen sie die Flucht aus dem Garten? Oder die liebevolle Geduld des Großvaters? Oder eine näherkommende, diffuse Bedrohung, die einem zuraunte, Wintervorräte anzulegen? –  Sie steigen schon aus?
B: Es muss sein.

Sie wünschen einander Glück und Gesundheit.
Über das Buch? Fällt kein Wort mehr.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lesen. Hören. Schreiben. 35 Endspurt I.

Der Roman will fertig werden.
Überarbeiten dauert noch. Hier korrigieren, dort löschen. Löschen Rückgängig machen. – Das große Ganze im Auge behalten, dabei 2/3 der Details vergessen. Neue Notizen, viele viele Notizen auf fliegenden Blättern. Ganz unübersichtlich. Bunt markieren?
Missing links in die Lücken zwängen, dann zweifeln, Problem aufschieben, und nun aber zu etwas ganz anderm, dem Schluss, der sich auf den Anfang bezieht, nur befindet sich der Anfang unter dichtem, grauem Nebel. Keine Sonne in Aussicht, nur Pause mit Kaffee und vielen Kalorien, sonst Schwächeanfall.
Überhaupt alles zuviel, vor allem zu viele Worte. Vielzuviele Buchstaben. Die Hälfte wegmachen? Oder nicht, sonst Reue.
Und die Logik. Wann kam der Schlafsack das erste mal ins Spiel? Geht ein Ort, ein Stadtteil, den Autorin nie aufgesucht hat? Was taucht auf, um zu bleiben? Was erscheint und stirbt? (oder geht verloren) Wer oder was bewegt sich scheinbar willkürlich zwischen den Passagen umher?
Warum sind mir alle Protagonisten zumindest ein bisschen sympathisch? Jetzt noch ein abgrundtief böses Wesen implantieren? Auch kein corpus delicti weit und breit, auf den gefühlt 999 Seiten nicht. Zu spät, zu spät.
Moment der letzten Anspannung: Lay-out festlegen. Hier und dort komplizierter als erwartet. Warum funtkioniert das nicht? (word spinnt) Und das harmonische Erscheinungsbild und die Geduld und die Nerven.
Deadline verschieben. Schlafen, Essen, Gartenarbeit.
Das Leben ist schön. Manchmal.

Lesen. Hören. Schreiben. 34 …und die Kinder

„Warum schreiben Sie nicht mehr für Kinder?“,
wurde ich gefragt.
„Meine Kindheit ist weit weg und ich bin erwachsen“, antwortete ich darauf.
Dazu noch das, für diesen Blog:
Ich kenne nicht viele Kinder. Sie teilen nicht mein Leben, und sie sind mir oft fremd. Vielleicht sollte ich über sie nachdenken und auch mit ihnen sprechen, um mehr zu erfahren. Vielleicht tun sie mir einfach leid, weil C-Maßnahmen, weil zu wenig Natur, zu viel Handy. Weil Musik zu laut und die inneren Stimmen, die wahr sind, sich zusammenrollen und schlafen, wenn sie wachen sollen. Undundund.

Was soll ich ihnen sagen?
Habt Spaß, mit allem Ernst, der dazu nötig ist, krächze ich mit der Unzulänglichkeit eines ausgedienten Grammophons. Bleibt in Bewegung. Lasst euch Wind um die Ohren wehen, lernt die Duftnoten der Luft kennen. Lasst euch kein Unrecht gefallen, und wenn ihr fällt, steht auf und tut Pflaster auf die Wunden. Achtet euch und die, für die ihr Vertrauen und liebevolle Gefühle hegt. Spielt, spielt mit Leidenschaft, aber spielt nicht mit der Verletzbarkeit der Freunde. Und kommt nach Hause mit Hunger auf Pommes, Kuchen und auf den nächsten Tag.
Nur mit Euch kann es besser werden. Es ist eine große Aufgabe, die auf euch lastet. Nicht müde werden, nicht verzagt –
Wo gibt’s die App dazu?, kommt es zurück.
Andere hören mich gar nicht, weil schon zu weit voraus.
Viele, viele werden nicht satt und fänden ausgerechnet meine Ratschläge zum Kotzen.

Lesen. Hören. Schreiben. 33 Wald und Worte

Virginia Woolf in ihrem Tagebuch übers Verfassen eines Romans, hier sinngemäß wiedergegeben:
„Zuerst den Wald überfliegen,
dann heißt es, einen Weg durch den Wald zu finden, von Baum zu Baum immer weiter…“

Eine lange Wanderung voll Mühe und Entbehrungen. Der einzige Wegweiser ist das Ideal des Werks, das erarbeitet werden soll. Noch ist unklar, ob gerade Wege sich als richtig erweisen, ob es besser wäre, jeder Abzweigung neugierig zu folgen, oder: Einmal so richtig verirren, dann doch wieder aus dem Gestrüpp finden und vom Abenteuer berichten?
Gut wär’s, durch Mischwald zu wandern. An Unterholz, Flechten und Pilzen nicht nur vorübergehen. Hügel und Gräben nicht scheuen. Wurzeln ausgraben (und wieder eingraben). Eindrücke mitnehmen und die gute Luft und ein paar Brombeeren.
Ist es gestattet, Zweige zu Girlanden zu binden? Da und dort einen Steinkreis zu formen?
Da, ein Waldgasthof, fein. Ruhen. Kaffee. Leider zieht ein Wetter auf. Weitergehen ganz unmöglich. Die Gäste müssen übernachten. Pause. Nicht denken, zumindest nicht an Wald und Weg.
Gestärkt hinaus ins Freie, das bedeutet, frei sein, sich vom Waldweg aufs neue gefangennehmen zu lassen. Gehen, suchen…bis der grünegrüne Wald ein Ende hat. Bis der uranstrengende Text beendet ist.

War’s das wirklich schon?
Noch einmal zum Start, prüfen, ob nichts übersehen wurde.
Eine vertrauenswürdige, kompetente Person um Rückmeldung bitten? Danach mitfühlend seufzen, wenn die Person erschöpft ein Glas Wasser leert und mit dem Bericht herausrückt: „Sehr eigenartiger Wald. Hätte mich fast verirrt. Könnte man nicht einfach außenrum gehen?“