Klang über dem Hügel

Heute erst kann ich nüchtern über das berichten, was Lela mir über den Abend vom 2. März erzählt hat. Ich war nicht dabei. Ob sie die Wahrheit sagte, kann ich nicht bestätigen.

Wir saßen bei mir daheim auf dem Teppich. Zwischen uns dampfte der Teekessel. Lela war ganz ruhig. Zupfte auch nicht an ihrer schwarzen Bluse herum. Senkte bloß minutenlang die Lider und erinnerte sich…, bis sie begann zu erzählen vom Klang, der in der Luft lag, der sie rief…:

L e l a:   Weißt du, es war verrückt. Und doch nicht. Ich rannte los, westwärts, ließ die letzten Häuser hinter mir, weiter zum Hügel,
nix mit Spazierwegen und beschaulich, sondern die Diretissima hinauf, zwischen Sträuchern und Steppengras-

I c h:      „Steppe“?

L e l a:   Weiß ich doch nicht mehr. War ja finster.

I c h:      Im Finstern sollen Frauen sich nicht allein herumtreiben. Das ist gefährlich.

L e l a:   Ich war beschützt! Eine Art…inneres Glühen behütete mich

I c h:      Also quasi Hitzeschild?

L e l a:   Du nimmst mich nicht ernst!

I c h:      Doch.

L e l a:   Du lügst!

I c h:      Stimmt nicht. Ich will’s jetzt wissen. Erzähl weiter

L e l a Pause. Dann: Da stand ich oben. Auf dem Gipfel dieses mickrigen, nichtssagenden Hügels. Und lauschte einem Klang, den ich zugleich in mir fühlte.
Bis jede meiner Zellen begann, mitzuschwingen, mitzusingen.

I c h:      Und dann?

L e l a:   Weiß ich nicht mehr. Weiß nicht, wie lange das gedauert hat. Und, wie ich nach Hause gekommen bin. Jedenfalls unversehrt.

Lela lächelt. „Rita, glaub mir, es ist gut so, wie es ist. Wie es war.
Wir tranken unseren Tee aus. Im Stillen überlegte ich, ob Lela mit einem handfesten Problem besser dran wäre: Handy vermisst. Oder Kurzschluss. Plus Konversation mit einem naturbelassenen Elektriker.
Nein. Es ist wirklich gut so, wie es ist.

Und ich? Soll auch ich mir einen Hügel mit Erweckungserlebnis wünschen?
Auf dem Mugel im Garten, der aus einem gigantischen, überwucherten Komposthaufen entstand?
Ich würde in den Himmel blinzeln, Wolken sehen und Sperlinge hören. Nichts sonst würde geschehen. Nur beim Abstieg eine Ungeschicklichkeit, ein Sturz. Beschämt würde ich eine Weile liegenbleiben und mich schämen, die Nachbarkatze im Blick, die es ausgezeichnet versteht, das Leben zu genießen und zu warten, dass es sich von seiner freundlichsten Seite zeigt: Sonne auf dem Fell. Maus vor dem Kellerfenster.