Lesen. Hören. Schreiben. 47 Der erste Satz

ist ein flüchtiges Ding. Kaum getippt, schon wieder weg,
ersetzt durch den zweiten, dritten, vierten ersten Satz.
Der erste Satz soll verlocken, soll versprechen, was später eingelöst wird. Er muss mit dünnen Buchstaben eine lebendige Landschaft malen oder die Skizze einer interessanten Person, am besten alles zusammen, dazu viele Fragezeichen am Horizont.
Eine unlösbare Aufgabe.
Arm ist er, der erste Satz: wird rausgekickt, noch bevor er sich’s bequem gemacht hat.
Nicht zu hübsch darf er aussehen. Cool viel besser.
Und bloß nicht so tun, als hätte er’s mit der Poesie.
Das Gegenteil kommt vielleicht wahrscheinlich viel besser an: Eine (haarsträubende) Situation, die über Leben oder Tod entscheidet, aber genau das ist im ganzen Text nicht drin oder doch, aber bitte nicht so schnell, weil, gut Ding braucht Meilen, auch wenn der mögliche Tod ein schlechtes Ding ist.
Zurück an den Start.
Muss mal die Person mit der tragenden Rolle fragen, wie sie sich den Anfang vorstellt:
„Hm. Rätselhaft. Mit einem gewissen Charme, der einer verborgenen Schönheit eigen ist, die sich nach und nach entfalten wird.“
Omg. Das geht gar nicht, das sprengt den Großen Plan.
Zu viel Mitsprache ist auch gar nicht gut. Bringt nur Streitereien.

Besser, ich mach hier Schluss, öffne die Datei mit dem unvollendeten Beginn und schreib den ersten Satz total spontan und mit dem Anspruch auf vorläufige Ewigkeit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lesen. Hören. Schreiben. 46 Ich hab ’s getan

Ich habe ES bestellt.
Lange vorher alle Ausflüchte als fiktive Fluchtreaktionen enttarnt,
mögliche Durstrecken schon vor dem Beginn bewässert
(mit Kaffee),
und jetzt liege ich ganz gut im Rennen vor der Startlinie.
Glaub, das Training – Lektüre von Textpassagen und –zitaten  – hat gewirkt. Als Einstimmung zum Eigentlichen. Denn dort wurde mir bewusst: Auch nach dem Tauchen in diese absolut gestrige immer noch aktuelle Gedankenwelt muss Körper nicht über Sauerstoffmangel klagen. Im Gegenteil, ein bisher unbekannter Wind weht mir um die Nase und, anatomisch-fragwürdig, ziemlich genau ins Hirn.
Es kann also nur gutgehen.
Bald.
In fünf, vier, drei Tagen…,
da sage ich schon „morgen“!
Und dann ist es so weit. Ich fahre zur Buchhandlung meines Vetrauens und kaufe Auf der Suche nach der verlornenen Zeit.

 

Lesen. Hören. Schreiben. 45 Der gute Ort

Da war eben noch der Plan für den neuen Text: Sauberer Plot, aktuelles Thema, interessante Personnage.
Aber,
ein noch viel neueres Thema hat sich wichtig gemacht und das nicht-mehr-so-neue überholt. Vor Ehrgeiz funkelt es in Tannengrün und Fichtengrün, tarnt sich nur unvollkommen hinter Flechtengrau, rauscht und singt und rollt ein unsichtbares Banner auf:

S c h a u p l a t z  W a l d
Unter-Überschrift: Fühlst du dich nicht schon total motiviert?

Doch!
Wald ist gut.
Wald ist Ruhe inmitten von Lebendigkeit.
Wald ist hell und dunkel. Abend dämmert und tut, als wär’s schon Nacht. Fort mit den Gästen!

Mein Wald steckt voller Ungewissheiten. Das Licht, das durch die Kronen fällt, spielte eben noch mit seiner Quelle aus Sonne? Oder fiel nur matt durch Wolken? Von meinen Haaren, in Spinnweben verfangen, bis zu den Füßen –in-Brombeerhecken: Wald rückt zu nahe? Wald grüßt mich auf seine vorwitzig-hintergündige Weise?

Wald-Abenteuer-harmlos, beim Versuch, mich wenigstens einmal, schon frierend, ein wenig zu verirren: Nichts zu machen. Wald schützt mich. Wald wärmt.

Ich hab noch nie einen Baum umarmt. Bin aber sicher, dass Wald mich umgarnt. Mich daraus befreien?
Wie denn. Wald macht, dass ich seine Lebendigkeit in Ameisennähe und schaukelnden Kronen spüren kann (ohne zu stören), als riesiges Auge-Ohr-Haut-Wesen voll mitfühlender Neugier.
Unsichtbar-Werden im Wald?
Nein. Unsichtbar werden kann ich an jedem Ort, wenn ich es will.

Lesen. Hören. Schreiben. 44 Lachen nach dem Lunch

Was beim Lesen innehalten und vor stillem Vergnügen leise lachen lässt, steht unauffällig zwischen anderen unscheinbaren Worten im Text, klingt einfach und ist doch schwierig zu „konstruieren“. Nur, wenn es konstruiert klingt, ist es auch schon verkehrt.

Ungefähr so schreibt Thomas Mann über ein Zusammentreffen in kleinem Rahmen:
…nach dem Lunch beordert Potiphar Joseph zu sich, zur Unterredung in der Loggia…
In Ägypten!
Hab von den Seiten danach nur wenig mitbekommen, laut und leise kichernd, und nicht nur seit damals frage ich mich immer wieder:
Wie funktioniet subtiler Humor?
Kann man ihn definieren, klassifizieren, nach seinem Ursprung forschen?

Unvollständige Aufzählung:

o) Zitat eines Person an anderer, überraschenderweise genau passender Stelle wiederholt

o) Übertreibung, nur wenn genial, vereinzelt an ungewöhnlichem Ort, und frisch erfunden.

o) Als Dialogpartikel. Nicht plätschernd, sondern avec ésprit.

o) Wo?
. Wo es locker zugeht.
. Wo eine ernste Situation dringend ein Ventil ins Lächerliche braucht.
. En passant. Humoristisches Einsprengsel lauert am Wegrand und überfällt LeseWanderer aus der Allee der ernsten Worte.

o) Minimalhumor durch Adjektiva, die, aus Gewohnheit einem anderen Spektrum an Substantiva zugeordnet, im konkreten Fall aber an den neuen Bestimmungsort versetzt werden und ein ebenfalls ebenfalls minimales Was? Wieso? Das geht aber gar nicht bewirken.

Nicht Lachen, sondern Lächeln machte mich die ernste! Rede des neuen Außenministers der USA und zauberte zwar nicht Genugtuung, doch immerhin einen Hauch von subversiver Hoffnung auf mein Antlitz.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lesen. Hören. Schreiben. 43 Nun zu etwas ganz Anderem

Der frisch abgearbeitete, optimistisch fortgeschickte Text ist zu unpolitisch geraten. Grob ausgedrückt: zu affirmativ.

Im neuen Roman läuft alles anders:

Die politischen Zustände müssen nicht benannt werden. Aber, meine Personnage ist hellhörig / misstrauisch oder gutgläubig / von unabhängigem Geist / zielbewusst und furchtlos / und auf keinen Fall korrupt, und das, was als Schattenspiel von mächtigeren Mächten auf sie fällt, macht nicht Angst, nicht Hoffnungslosigkeit, sondern ist Ursache für neue, unerwartete Stärke –

Hat irgendwann irgendwer behauptet, wir lebten in verkommenen Zeiten? – Die Zeit kann nicht verkommen. Nur , ich schätze mal, einigen Hundert von denen könnte ich absolute Verkommenheit zusprechen. Der unaufgeklärte Rest windet sich unter den Zuständen, erzeugt aus Groll Krebsgeschwüre, flieht oder betrachtet Heckenrosen am Waldrand.
Mein neuer Text sucht seine Irrwege, verwickelt sich in Verstrickungen, findet zerkratzt wieder raus, und immer so weiter, bis die Protagonisten ihm in die Suppe spucken.
Alles wird besser, interessanter und vielviel schöner.
Ein Verprechen, das man kennt…aus der Politik.