Hören. Lesen. Schreiben 21. Zwischen zwei Texten die Maus

Text fertiggestellt. Befreiung. Belohnung. Pizza. Chillen. Großes Nichts im Hirn.
Die wirklich wichtigen Dinge erlangen wieder ihre Bedeutung: Spinnweben von der Decke kehren. Gatter reparieren. Kaputte Sägeblätter aussortieren. Jäten, jäten, jäten. Schokolade.

Nach ein paar Wochen  Tagen Stunden macht sich Unruhe breit: Großes Nichts auf dem Schreibtisch sieht nach Trägheit aus. Das soll nicht sein. Irgendwo liegt die Mappe mit den Entwürfen. (Datei im PC: Lösch-Taste zu verlockend) Einfach mal drin blättern. Das verpflichtet zu nichts. Das ernüchtert. Das verlangt nach viel strengeren Kriterien als bisher für alles, was sich in der Mappe findet:

o) Wirres Zeug. Wer hat das hingekritzelt? – Ich?
o) nicht mehr aktuell
o) Zielgruppe…?
o) unleserlich
o) Thema wurde schon von anderen abgearbeitet. Muss ich nicht mehr.

Und da finden sich auch lose, irgendwo herausgerissene Seiten, vollgeschrieben mit einer unsäglichen Story, aber ein Absatz mittendrin packt mich, zwingt zum Weiterspinnen, liegend im Dämmerlicht, das Raum schafft für alles Mögliche…, bis ein Geräusch mich aufschreckt, bistugscheit, das ist die MauseLebendFalle, aber die war ja nicht scharf, nicht gefüllt, weil Maus es wochenlang geschafft hat, den Köder zu fressen, ohne gefangen zu werden.
Doch, das Geräusch kam von der Falle.
Genau daneben sitzt die Maus und schaut mich an,
rüttelt an der Falle, schaut mich an, rüttelt – schaut –rüttelt –schaut – rüttelt und verschwindet hinter der Sesselleiste.
Muss wirklich schlimmen Hunger haben, wenn sie sich aus dem Versteck traut. – Ich tu also ein Stück Müsliriegel in die Falle, nein, ich stecke es an den Spieß, der mit der Tür verbunden ist, und warte.
Minuten später ist die Maus gefangen und beim Komposthaufen ausgewildert.

Jetzt über Text und Thema und Form nachdenken?

Denken, ja: Haben Mäuse einen Sinn für wenn – dann? Können Mäuse Situationen aus der Vergangenheit so einschätzen, dass sie daraus Schlüsse auf Verhalten-in-der Zukunft ziehen? Besitzen Mäuse überhaupt eine Art Wissen über Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft? Durch welche Eindrücke (in früheren Häusern) glauben Mäuse, mensch dressieren zu können? Und woher, verdammt, wusste die Maus, dass sie den Köder wahnsinnig vorsichtig fressen muss, um nicht gefangen zu werden?

Genug.
Hab zu tun.
Mein Entwurf hatte mit nächtlicher Stille zu tun, in der von einem fiktiven Bahnhof die Geräusche von quietschenden Güterwaggons herüberdringen, mit Melancholie und der beruhigenden Möglichkeit, zu verreisen.

Was kann daraus entstehen?

Leben Mäuse auch im Großraum Bahnhof? Zwischen den Gleisanlagen von Verschubbahnhöfen? Wen dressieren sie dort? Was für ein Sensorium warnt sie vor herannahenden Zügen, verrät ihnen die Richtung und sagt ihnen: Flucht oder leg-dich-platt-auf-die-Erde? Das potentielle Wissen um Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft wird ev. von schattenhaften Eindrücken wie Kleingartensiedlung – Bereich Stellwerk/Süd – Güterwaggon Richtung Venedig bestimmt? Und: Wie organisiert Maus den Familiennachzug?

Ich hätte noch viel mehr zu überlegen.
Geht aber nicht.
Hinter einer Sesselleiste wird Holz zu Sägespänen verarbeitet…