Hintergrundblind

Als ich ein Mädchen von neun Jahren war, musste ich immer und immer noch zu Mittag ruhen. Ich hörte die Stimmen der anderen Kinder, sie spielten, sie gingen zum Schwimmen, und ich war unblücklich, nicht mittendrin zu sein,
Abends schlafengehen war in Ordnung. Manchmal rauschten Bäume im Wind, oder im Holz knackste es, aber das machte nichts. Das Dunkel der Nacht war eine freundliche Kugel, die vor Dämonen schützte und vor den Mäusen in der Vorratskammer.

Jetzt bin ich viel älter und ruhe und schlafe gerne zu Mittag. So eine Freude, wenn ich draußen-umherfliegende Gesprächsfetzen und den Gedankensalat in mir für nichtig erklären kann, wenn der Schlaf alles, alles zum Schweigen bringt und den hellen Tag einfach ausknipst.

Rückblickend mit Durchblick wurde mir der Betrug von viel-früher endlich klar: Kinder und andere Menschen schliefen einen naiven, Jahre dauernden Traum, während im Untergrund der kalte Krieg schwelte. Was ist es heute, das hinter der Sorglosigkeit der Schlafenden rumort? Ich meine das für uns Unsichtbare, Verschwiegene. Kein Nachrichtendienst dürfte es erwähnen. Soziale Medien würden unter der Last verbotener Berichte von Kurzschlüssen getötet. Den Menschen wüchse im Nu eine Schutzschicht aus eisernem Nein.

Ich aber möchte ungeschützt stärker werden. Standhaft wie ein Baum. Schwach-sein dürfen, ohne dass es zum Angriff reizt.
Was für ein Privileg, sich ohne Ernstfall um Widerstandskraft bemühen zu dürfen.
Wie arm, wie reich sind Kinder, die im Vertrauen auf alles ist gut dem wilden Leben ausgesetzt sind? Wann dürfen wir ihnen das Andere in verträglichen Portionen zumuten? Schiffe, die sinken. Explosionen. Blut. Sturm. Das Beben, wenn nahe Menschen zwischendurch selbst  zum Unwetter mutieren.
Wer dichtet ein Wiegenlied, das aufrührt und tröstet, das wahr ist und doch leise und sanft? Wer komponiert Töne und Zwischentöne, die aus dem Dunkel über Hügel im Sternenlicht führen und alle, auch Belinda und Coldie, in friedlichen Schlaf begleiten?