Es begab sich im Zug

Zug Wien-Ostbahnhof – Berlin-Lichtenberg. Großraumwaggon, ziemlich viel Platz zum Ausbreiten von Proviant, Lektüre und zum dezenten Bespaßen von Katze. (Ja, sie hat das gut überstanden. Für lange Zeit verreisen ohne Katze : Keine Option.)
Irgendwann, im Lauf von vielen Kilometern, mit Aussicht auf Moldau und Freude auf die sächsische Schweiz, mit Langsamfahrstrecken und Wartezeit in Verkehrsknoten, wird das spannendste Buch öde. Wird der Blick auf den Reisenden-gegenüber gelenkt. Aber oh, so einer! Outfit wie Strizzi. Blick provokant. Frage, warum er so schaut, unmöglich. Ist ja in Tschechien zugestiegen. Irgendwann greift er nach meinem Buch, untersucht es, legt es zurück. Leichtes Grinsen im Gesicht.
Weiterbummeln. Erklärende Durchsage auf Tschechisch.
Lust auf Kaffee.
Wanderung zum Speisewagen riskant. Was, wenn Strizzi sich auch für meine Katze interessiert? Sie mit einem Griff aus dem Transportbehälter zerrt und aus dem Fenster schmeißt? Wenn die Mitreisenden tatenlos zusehen?
(Fenster zum Öffnen, um sich den Fahrtwind um die Nase wehen zu lassen, das gab es damals noch.)
Die Gegend verändert sich. Nordböhmisches Industriegebiet wechselt mit wilden Felsen und unlieblicher Landschaft.
Kaffeedurst.
Misstrauen.
Irgendwann beschwor ich Strizzi  stumm, meine Katze gefälligst in Ruhe zu lassen, ging Kaffeetrinken, kam zurück und, natürlich fand ich Katze schlafend, unversehrt. Happy End, und das noch lang vor Dresden.

Schauplatzwechsel: Berlin, spät am Abend, früh in der Nacht. Ich stieg aus der Tram, noch das abendliche Event im Kopf, und da stieg noch einer aus, ging auf einmal neben mir her und machte Konversation in urberliner Mundart. Einer mit gefühlten 25 Generationen Berlin-Background. Einer, der gut 15 Jahre jünger war als ich. „Kommste aus Ösiland? – „Ja.“
Und immer so fort. Und immer sehr nett und sehr höflich.
Zwei auf dem selben Heimweg?
Vorm Haus mit dem schäbigen Eingangstor, wo dahinter ein reichlich versiffter Hinterhof zu meinem Hinterhaus führte, sagte der junge Mann einfach nur tschüs, viel Spaß noch in Berlin. Weg war er. Hatte seine Mission erfüllt, die Fremde sicher durchs wilde Friedrichshain zu geleiten, das damals noch fern von jeder Gentrifikation ein wirklich „gefährliches“ Pflaster war.

Angst, Misstrauen oder Vertrauen – Was für ein Zeichen zeigt uns den Weg?
Braucht mensch Instinkt und Geruchssinn wie ein Hund?
Was ist es, das ein unbekanntes Gegenüber verdächtig scheinen lässt? Gibt es eine Art Harmlosigkeitsausstrahlung, durch die Haut, aus den Augen? Wann wie wo warum schrillen Alarmglocken?
Mir kommt vor, mit zunehmendem Alter funktionieren die Sensoren besser. Nach und nach, mit Option für Irrtümer ab und zu.
Doch, Jugend und Kinder brauchen genau diese Fähigkeiten viel dringender!