Federn und Freunde

Die Hühner meiner Großmutter, die in den Bäumen schliefen
Amsel im Nussbaum, früh am Morgen
2 Wellensittiche, früh verstorben – ich ahnungslos mit 8

Pechvogel. Blindes Huhn.
Jahre und Jahre mit Vogel-Strauß-Verhalten beim Verzehr von Hühnerschnitzeln

Wassergeflügel auf Teichen und Seen: „Füttern verboten“. Aber wie überleben sie den Winter?
Die Waldohreule mit ihrem melancholischen Ruf: Ist es in jedem Vorfrühling die selbe?
Die Amsel am Wegrand, aufgelesen. Wollte kein Futter. Ist am Usutu-Virus gestorben.
Zugvogelschwärme, zuversichtlich, die Reise zu schaffen. So viel Ausdauer, so viel Teamgeist. Sind auch meine guten Wünsche angekommen?
Der Habicht, der zehn Meter vor mir auf dem Radweg gelandet ist, sich umgedreht hat mit einem Blick aus Selbstbewusstsein und „mit dir will ich eh nichts zu tun haben“.
Und Kuckuck, Goldammer und Sperber, die sich bei einer Vogelwanderung beobachten ließen.
Und die Frau J. im Wildvogelforum, die vom Päppeln und Auswildern berichtete: Die Kleinen, nicht mal 20 Gramm. So perfekt. So gefährdet.
Die klugen Kleinen, die schon warten, bis die drei Futterhäuser gefüllt sind.
Vögel, bitte viele!, die mir in Zukunft begegnen werden.
Ihnen gehört der Himmel. Wenn dort alles weggeräumt wird, was stört und zerstört, beginnt ein glücklicher Tag.
Und alle meine Enten, aber den Himmel sehen sie nur von unten. Flügel stutzen zum Schutz…seit damals, als Emma weggeflogen ist.

Abschied

schon am zwölften Oktober, ohne dass es mir bewusst war: das letzte mal. Darauf folgen sechs unendlich lange Monate ohne Schwimmen über Kies und winzige Wirbel,
ein unwirtliches halbes Jahr ohne die Reinheit, die Kühle zu genießen, ohne Schwerelosigkeit.
Wäre es möglich, einfach aufzusteigen, sich selbst nicht mehr zur Last! Wolke werden. Fliegen, als Fuzzelchen von Bewusstsein…

Doch, schwerelos = nicht sorglos.
Einmal träumte ich vom Fliegen und übermächtiger Angst vor der Landung. Da war auf einmal was Weißgekleidetes an meiner rechten Seite, es hielt die Tragflächen dieses sehr unzulänglichen Flugzeugs und geleitete es sachte zur Erde zurück.
So soll es sein. Nach jedem Ausflug Richtung Himmel eine freundliche Hand. Alles würde gut.
(Nach jedem Ausflug ins Wasser ein Handtuch. Das genügt.)

Ungewöhnliche Musik

Zeh-Dur  –  Oparette  –  Choraal
Kompostition  –  Zierharmonika  –  Violinschüssel
Singer-Songreiter  –  KlaraNette  – Zitter
Primadonner  –  Klavierauszuck  –  Magnifikatz
Tenohr –  Rezitatief  –  Sumpfonie
Vokaliese  –  Orkanist  –  Schlussdekadenz  –  Blassinstrumente
Harmonieleere –  Korrupetitor – Ouvertüre

Eigene und fremde Federn

Freiheit.
Ich bin so frei und nehme mir noch ein Stück Apfelkuchen.
Frei von Alltagslast mal nur chillen.
Freifahrt: Gibt’s das noch?
Freie Fahrt und bloß kein Hindernis, wenn ich mitm Rad—
Freigeist: Ja, sowieso.
Freilandhühner: Alle, alle Hühner sollen frei sein!
Enten, Gänse, alle Nutztiere, auf in die Freiheit!
Freibad: Ja, schön, angenehm. Wellness-pur! Für mich nur  im Freibad meines Vertrauens, nicht weit von hier.
Freiberuflerin? Einige Jahre war ich ängstlich in der Enge des Überlebens gefangen. Macht nichts.
Befreit…von Eis(?), vom Wunsch nach mehr Bequemlichkeit, Luxus, von sinnlosen Gedankenspiralen, von Kopfschmerz.
Genau diese, letzte Befreiung wird mit größter Dankbarkeit belohnt.
Vogelfrei: Vögel sind doch nicht frei. Getrieben vom Überlebenskampf, bedroht durch Feinde—

Und das hier, weise und wahr, wenn es wahr werden könnte:

„…Freiheit, die ich meine: die Erlaubnis, da Gott die Welt in nichts bestimmt hat und zu ihrem Wie nichts getan hat, sie noch einmal neu zu begründen und neu zu ordnen. Die Erlaubnis, alle Formen aufzulösen, die moralischen zuerst, damit sich alle anderen auflösen können…“
in „Das dreißigste Jahr“; Ingeborg Bachmann

LandSchafft!

Ebenes Land macht mich ruhig. Kein Bedürfnis, es zu füllen. Eine Ebene ist abwechslungsreich genug. Riecht mal nach Getreide, mal nach Schnee. Klingt weithin vom Ruf der Krähen, vom Tosen der Stürme im Herbst. Das Signal vom Fernzug und ein gelindes Erschrecken darüber? Nur der Beweis für das Große OhneAlles, das sich sonst immer, Immer, hier ausbreitet.
Sonne, die am Rand des flachen Landes untergeht, hat die Gabe, die zerfließenden Farben am Horizont mit Sehnsucht zu tränken, mit tiefer Zufriedenheit, mit Ergebenheit oder dem Drang, sich jetzgleichaufderStelle hinzulegen. Dem Gras mitteilen, dass man ihm vertraut. Gras dankt und wärmt. Vielleicht. Für ein, zwei Stunden.

Gebirge dagegen fordert. Zwingt den Blick auf Gipfel, Steilhänge, Felsrinnen und Klettersteige. Lässt schaudern. Es treibt dich davon, zugleich zwingt es die Aufmerksamkeit auf sich selbst. Du musst reagieren. Ehrfurchtsvoll staunen. Doch das genügt ihm nicht, dem Gebirge, oder dir selbst, denn es hat sich bereits verinnerlicht in dir – nein,
ehrlicherweise heißt es in mir, es ist ja meine Erzählung, und nur ich weiß, was hier zählt:
Die absolute Verweigerung. Ich steige nicht rauf.
Und, falls mich ein obskurer Mechanismus nach ganz oben befördert hätte, ohne mich zu fragen: Ich schau nicht runter. Interessiert mich null, was dort abgeht. Zedern? Nebelwand? – Vergiss es.

Viel lieber würde ich mich auf die Terrasse eines Berggasthofs setzen. Kopf in die Arme, Arme um die Knie, und mit geschlossenen Augen davoneilen. Bergab, bergab, schneller als ein Bussard, viel schneller als der Postbus…
Ich nähme die Diretissima, könnte mir beide Beine brechen, doch der Mut macht mich stark, die Vorfreude unverwundbar. Denn bald hab ich die vorgelagerten Hügel erreicht – in meiner Vorstellung rolle ich die Wege hinab – weiche Höfen und Weiden aus, bis ich sie erreicht habe: meine Ebene.
Wiedersehensfreude! Wie begeht man sie? In herzlichster Umarmung. Geht nicht? Tu ich halt laufen. Sie, die Ebene umkreisen, zuerst in fliegender Euphorie, weiter, in gemächlicher Gangart, am Ende nur noch Schritt für Schritt, ohne mir die Erschöpfung einzugestehen.
Ausruhen. Ohne ruhig zu werden. Verwunderung. Herzschlag der rasenden Heimkehr hat die alte Zufriedenheit verscheucht.
Das Große OhneAlles ist nun zu wenig.
Hinlegen und dem Gras guten Abend wünschen?
Später.
Muss tun.
Und machen.
Der Ebene einen Rahmen aus Hügeln zeichnen. In bunten Strichen ein paar Häuser, nein, ein ganzes Dorf an seinen westlichen Rand. Mit Rindern und Kindern und Hunden und Kirschbäumen. Weit weg ein Mähdrescher. Die Straße (ans Meer. Bloß nicht ins Gebirge) kaum sichtbar, doch notwendig. Morgen werden LKWs viel Bier und noch mehr zum Gasthaus transportieren, Pendler werden pendeln, und Schulkinder zur Schule fahren.
Ich werde aufwachen nach einem lächerlichen Traum und in den Tag platzen mit einer wilden Lust, alles durchzustreichen.
Flaches Land, leerer Raum, nur hier ist der Ort für mich, wo alles möglich ist.