Schutz in Schwebe

Hätte ich nicht Nachrichten gekuckt, die vergangenen vier Jahre wären an mir vorübergezogen, und – Supermarkt mit Maske ausgenommen – ich wäre ohne Sorge, mit nichts als einer unangenehmen Grippe mit Schwächezuständen im Gepäck, im Hier und Heute angekommen. Ohne Rancune, ohne an der Politik zu zweifeln.
Oke, es ist auch der Garten, zusammen mit der Gnade der frühen Geburt, der mir die Freiheit, frei zu atmen bewahrt hat.
Auch deswegen tauchen Fragen auf: Wäre es nicht Pflicht, sich zu empören? Nicht nur am PC, sondern sich live der Gefahr von Aggression in Worten und Taten auszusetzen? Ist es legitim, sich zu verstecken?
Antwort: JA:
Niemand kann mich zwingen, für andere den Aufstand zu proben. Ich brauche meine Kraft, um für liebe Menschen in meinem Umfeld dazusein.
Antwort: NEIN:
Niemand lebt für sich allein. Wären alle Revolutionen der Geschichte nur im Untergrund besprochen worden, in lebhaften, zukunftsschillernden Farben ausgemalt, wären es eine bessere/schlechtere Welt?

Unter geschützten Räumen finden sich Erdreich und Felsen, die – vielleicht – auch die feinsten Irritationen von draußen weiterleiten. Durch Fußböden und Mauern in Kopf und Herz.

Über scheinbar geschützten Räumen ziehen Wolken dahin. Bauchige Schönwetterwolken. Und andere, die Sturm und Hagel bringen oder Schlimmeres.

Nichts ist für immer sicher.
Im Ernst(-Fall): Die kleine, egoistische Sicherheit mit Tor versehen, und das Tor mit Einladung für special guests. Schutz bieten. Wenn gewünscht, auch mit Gulaschsuppe und Getränk. Und neuer Kraft.

Nur noch 23 Tage,

bis das Schwimmbad meines Vertrauens wieder öffnet.
Noch endlose dreiundzwanzig Tage bis zum Eintauchen in kühles Quellwasser: schwimmen, sich tragen lassen, abtauchen, auftauchen, strampeln, LuftbläschenErzeugen, in denen die Sonne spielt. Schweben, frieren, raus auf die Wiese, ah!
Manchmal vertreibe ich die Ungeduld mit den Erinnerungen an Badegenüsse von früher. Die Vorfreude und das Früher schlagen über mir zusammen und begraben das Heute. Im Geist schon zwischen den Wellen, mit den Augen die Apfelknospen prüfend, mit dem Geschmackssinn von den Birnen kostend, während die Ohren schon einen schlimmen OktoberDauerregen er-hören und ein paar verstreute Überlebensinstinkte vor der Winterkälte zittern.

In welcher Zeit befinde ich mich?
Sie fließt nicht vorbei, ich schwimme in ihr vor und zurück und versäume den Augenblick.
Einwand: Ohne Abschweifen aus der Gegenwart, und sei ssie noch so erfüllt, wäre kreative Arbeit nicht möglich.
Ohne ein Zurück, ohne Erinnern kein Reifen: Mensch, Persönlichkeit wäre leer und öd. Wie ein Schwimmbecken ohne Wasser.

Enten und andere Menschen

Wenn auf der Weide und am Teich meine Warzenenten miteinander kommunizieren: Stimmfühlungslaute („ich bin da. Bist du auch da?“)  – Begrüßung, freundlich. Begrüßung, dominierend. – Herumzicken („Das ist mein Platz. Es war auch gestern mein Platz.“ – „Interessiert mich nicht. Jetzt bin ich hier.“…) Sie verfügen über Lautäußerungen beim Nestbau, andere beim Brüten und sehr spezielle, wenn die Küken geschlüpft sind. Außerdem sind sie fähig, Eier anderer Enten aus deren Nestern zu stehlen und ins eigene zu rollen oder im Schnabel zum Teich zu tragen und drin zu versenken.

Erpel sind liebe Buben, bis sie in die Pubertät kommen. Aber auch dann noch können sie Freunde bleiben. Außer es sind Mädchen dabei.
Wenn die großen Buben aneinander geraten, möchte ich mich daran erinnern, dass sie früher zusammen gebadet, auf der Weide Futter gesucht haben und als Küken in Panik gerieten, wenn sie keinen Blickkontakt zu ihren Müttern hatten.

Männer im Krieg haben als Buben Fußball gespielt, ihre Spielzeugautos hin- und hergerollt, und sind mit blutigen Knien zu Mami gelaufen.

Abend

Alles fertig. Alles ruht.
Gut? – Ja.
Nur ich ruhe nicht.
Aus irgend einem Grund erinnere ich mich an Evensong und Schule und Musikunterricht. Pflegte man im England des 17. Jahrhunderts mehr religiöse Abendrituale als bei uns?
Das Nachdenken über Traditionen hilft nicht beim Einschlafen.
Dem Tag fehlt noch was.
Ich hätte noch viel mehr hineinstopfen können, in diese ~ 17 Stunden, mehr Lektüre, mehr Ordnung im Schuppen, mehr Tee, einen Brief schreiben mit ehrlichen Worten, den Vorgarten startbereit machen und das Gefühl verjagen, es sei nie genug.
Morgen…
Die Lücke zwischen nicht-mehr-hier und noch-nicht-dort, am Rand des Schlafes, ist heute ein seltsamer Ort. Da drängen sich Melodiefetzen, ein Mm-m…und ein leises
…stille Zeit…:
O du stille Zeit?
Es breitet sich aus, es tröstet.
Warum Trost?
Weil die Nacht den Abschied bringt von allem, was der Tag uns lebendig erscheinen ließ? Weil geschlossene Augen die unvollkommenen Augenblicke, die Fehler, die kleinen Verletzungen nicht ungeschehen machen?
In einem anderen Land – Matratze sackte mit mir und einer seltsam klaren Schlaftrunkenheit zurück in Schulzeiten – entdecke ich noch viel mehr Songs und Lieder für den Abend. Für die Nacht. Wenn das Wach-Bewusstsein schwindet, ist mensch verletzlich, gefährdet. Das Bitten um Schutz legt die Verantwortung in höhere Hände.
Gebete, Lieder, Hofhund, Nachtwächter und Alarmanlagen webten / weben einen Zaun ums Haus.
Kann man hoffen.
Wenn dem Tag auch morgen etwas fehlt, singe ich mir ein Gutenachtlied.

Ich habe die Operette entdeckt.

Und schäme mich nicht.
Was tut sich da auf:
Süße Melodien. Große Gefühle. Sehnsucht, Heimweh, HerzWeh. Alles klingt, alles swingt.

Viel zu harmlos?
Zerstreuung, zu leichtgewichtig?
So soll es sein.
Wer kann zu jeder Zeit die ganze Schwere der Existenz tragen, ertragen, die Last der Sorgen um die Nächsten, die Plagen der Welt?
Ich sage: Niemand kann das.
Und: Niemand darf beurteilen, was für eine Art der Zerstreuung angemessen ist und seriös.
Warum ausgerechnet Operette so reinfährt, bei mir, das möchte ich herausfinden. Nach Wien in die Volksoper. DVD sehen, hören. Analysieren: Was wirkt warum? Sind es tatsächlich zweitklassige Sänger, die für Operetten singen? Worin unterscheidet sich das Musical von der Operette? Oder ist es eine von Geschmack und Kompositionskunst bestimmte Änderung in Darbietung und Publikumsgeschmack? Wieviel Ehrgeiz wurde in die Performance gesteckt? Kann man die Künstler googeln und landet man so bei Broadway & Co? (…)
So viel zu denken, so viel Arbeit.
Aus und vorbei ist es mit der Zerstreuung.