Sprung

Wäre es möglich, sich allein durch Willenskraft auf eine höere Entwicklungsstufe zu befördern, ein VielMehr an Wissen zu erreichen, an Hellhörigkeit, Klarsicht, Güte und Humanität –
wie sähe die Welt nach einem Tag aus?
Nach einem Jahr?

Wenn jeder zumindest einmal über seinen Schatten springen könnte, um das zu erreichen, was bisher zu edel, zu fern, zu hoch, schön, unmöglich schien…?

Wenn nur einen Tag lang jeder nichts Schlimmes anstellen würde –

Jetzt aber

nehme ich mir vor:
Früher aufstehen
Äpfel im  Vorratsraum sortieren
Weniger Süßes
Ruß neben dem Herd aufwischen
Spinnweben überm Herd wegkehren
Eine Palette zersägen. Oder zwei.
LebendMausefalle fertigstellen
Weniger surfen
Mehr lesen (analog)
Drei längst fällige Mails schreiben
Einen Snailmailbrief schreiben
Paar Scheibtruhen voll Strauchschnitt in den Schuppen karren, zum Trocknen
Erinnern an einen Tag im April, als ich vier war und inmitten einer Wolke aus Kirschblütensummen sehr versunken am Fotoapparat vorbei dorthin blickte, wo mein Himmel für immer stillstehen könnte.

 

Ententod

Pearl hat es geschafft.
Mit ungelegtem Ei im Bauch zur Vet.med.
Dort: Kompetente Betreuung in Diagnose, Operation und Nachbehandlung

Eckhart hat es nicht geschafft. Tumor. Von der Diagnose zum Tod dauerte es nur ein paar Tage.

Wenn eines meiner Tiere stirbt, spüren es die anderen.
Eins ist nicht mehr da.
Es ist stiller auf der Weide und im Stall.
Kein Zoff, kein Futterneid.
Dann aber wieder Alltag. Fressen, Baden, Gefiederpflege wie immer.
Ein sterbendes Tier in seinen letzten Stunden zu begleiten (= Ruhe und Präsenz vermitteln. Gute Worte. Mantras auf youtube vorspielen), bringt Tod mitten in mein Leben.
Bewusstsein verschwindet.
Körper bleibt. Nach Stunden kalt, trotzdem Respekt und Trauer fordernd.
Trauer, weil das Tier mit seiner Persönlichkeit –
Alpha-Dame / Schüchti / Wasserfreak…-
nicht mehr hier ist.

Ganz anders erlebe ich die Trauer um einen Menschen:
Weil das ungelebte Leben Pläne und Hoffnungen zerstört,
Weiterentwicklung unmöglich macht, den Weg zu einem scheinbaren zukünftigen Höhepunkt verschüttet.

Jeder Tod, den ich hier miterlebe, fordert aufs neue, mich den Lebewesen um mich herum so zuzuwenden, dass alles Mögliche an Liebe? und Respekt  vor dem Tod verschenkt wird.
Und dass dann nicht Reue, aber Quatsch, Reue betrifft ja nur mich selbst, und um mich geht es hier nicht, damit mir das mal klar ist.

Ernte will Dank

Das Sauwetter riss alle Äpfel auf einmal von den Bäumen:
Millionen von Äpfeln. Apfelsegen nach Apfelregen.
Es tat weh, die Süßen total auf dem Boden zu sehen. Ich musste sie retten. Auflesen, sortieren, in einem geschützten Raum sorgfältig lagern. So dass keines sich am anderen stößt und ihm Flecken verpasst.

Millionen Äpfel: Apfelüberdruss?
So darf man die Auswirkungen von Segen nicht schimpfen. Äpfel sind Geschenke des Himmels. Von Sonne erwärmt, errötet, zum Reifen gebracht. Vom Regen getränkt, damit ihr Fruchtfleisch quillt.

Äpfel verführen: Ich muss an ihnen riechen, ihr ElfenbeinGelbweiß bewundern und mich auch am scharlachrot- rosè-StreifenMuster nicht sattsehen können. Hineinbeißen, dass es kracht und knirscht und frau vom Saft einen Rammel um den Mund bekommt. Apfelkompott (mit geriebenen Mandeln, Zucker und Vanille) schlürfen und dabei an kranke Tage als Kind denken. Apfelstrudel backen und auch seinen Rest auf keinen Fall kalt verspeisen.

Nur, da sind noch immer so viele, mit Fäulnisflecken an den Wangen, mit kleinen Wunden, wo Vögel sich ihren Teil zum Frühstück holten. Hier zwei verschrumpelte, dort die grünen, die nicht nachreifen wollten.
Die ausdauernden halten durch bis März.
Die schönen sind gut genug zum Verschenken.
Erst wenn der Überfluss schwindet, fühle ich mich reich.

Ich, die Alte, die das alles organisieren muss, wünsche mir Sommerwiese ohne Arbeit. Liegen unter einem Apfelbaum, Personal serviert Mehlspeis: Kuchen, Torte, Strudel mit Marille, Kiwi, Erdbeer. Vielleicht auch Apfel. Und wenn mir einer daherkommt mit einem Apfelbaumgedicht – „Bei einem Wirte wundermild, da war ich jüngst zu Gaste…“, sage ich nur (mit Neid): Der war noch nie mit einem echten Apfelsegen konfrontiert.

Wenn du in kleiner Gesellschaft

eine seltsame Hirn und SprechLähmung spürst,
dazu Atemnot, bzw, wenn du noch in der Lage bist, dich selbst zu beobachten: gepresste, unregelmäßige Atemzüge, die deine Mimik nicht zum Vorteil verändern,
wenn du wider besseres Wissen gar nicht am Gespräch teilnehmen willst, oder doch, oder besser nicht, weil du vorhersiehst, dass jedes SprachFragment maximal die Mitte der Runde erreicht,
die unter diesen Umständen gar keine Runde ist, sondern ein Konglomerat aus wildfremden Existenzen,
und wenn dir das alles unabhängig von Alter, Geschlecht und Aussehen des Umfeldes passiert,
zugleich auch das Gefühl der Hilflosigkeit verursacht,
quasi eine Ohnmacht, ohne die Tücke, dass sie dich zwingt, hineinzufallen,
und wenn alle vordergründigen Fluchtgelüste es dir dennoch  verbieten, ihnen nachzugeben,
und du den Verdacht, dass alles, was die anderen denken, sich gegen dich richtet (und umgekehrt) nicht sofort als an den Haaren herbeigezogen entlarvst,
sondern dich unter weiter anhaltender Gedankenstarre im status quo breitmachst und dich sinnbefreitem Warten auf Besserung des Zustandes hingibst,
kannst du dich mit der stummen Ausrede, du wärst durch irgend etwas getriggert worden – „nein, es liegt nicht an euch“ – immer noch kriechend vom Schauplatz der Schmach entfernen.

Das Fatale und Unumkehrbare daran:

o) Alles total real
o) Es muss heißen: nicht du, sondern ich.