Bericht

Wir kommen aus schlimmen Sümpfen, von erhabenen Bergen in komischen Ländern, aus den Hütten des Schmerzes und der Gnade, wir fahren einher aus dem Süden, Imagination der Unbeschwertheit und schauen mit vorsichtiger Scheu auf das Eis des Nordens.
Von den Sternen kommen wir, könnte man sagen, bedenkend, dass ihr Licht auf unsere Wege fällt. Dass auch das Meer unsere Wiege war, ist gewiss – so viel Wasser hat der Mensch eingelagert in seinen Zellen und Sehnsüchten. Von früheren Schicksalsstürmen kommen wir und von der so flüchtigen Sommerseite: Kaum genossen, schon verflossen. Und, wir sind uns nur manchmal der vergangenen Untaten bewusst und erinnern uns gern an die Reinheit von Handlung und Gewissen.
Aus tiefer Finsternis landen wir im Licht, atmen zum ersten mal…- könnten wir die begrenzte Zahl der Sekunden von da an schätzen und nützen!
So oder so oder ganz anders: Wir kommen aus Mutterbäuchen. Gesegnet seien sie, rund und gesund!

Es begab sich im Zug

Zug Wien-Ostbahnhof – Berlin-Lichtenberg. Großraumwaggon, ziemlich viel Platz zum Ausbreiten von Proviant, Lektüre und zum dezenten Bespaßen von Katze. (Ja, sie hat das gut überstanden. Für lange Zeit verreisen ohne Katze : Keine Option.)
Irgendwann, im Lauf von vielen Kilometern, mit Aussicht auf Moldau und Freude auf die sächsische Schweiz, mit Langsamfahrstrecken und Wartezeit in Verkehrsknoten, wird das spannendste Buch öde. Wird der Blick auf den Reisenden-gegenüber gelenkt. Aber oh, so einer! Outfit wie Strizzi. Blick provokant. Frage, warum er so schaut, unmöglich. Ist ja in Tschechien zugestiegen. Irgendwann greift er nach meinem Buch, untersucht es, legt es zurück. Leichtes Grinsen im Gesicht.
Weiterbummeln. Erklärende Durchsage auf Tschechisch.
Lust auf Kaffee.
Wanderung zum Speisewagen riskant. Was, wenn Strizzi sich auch für meine Katze interessiert? Sie mit einem Griff aus dem Transportbehälter zerrt und aus dem Fenster schmeißt? Wenn die Mitreisenden tatenlos zusehen?
(Fenster zum Öffnen, um sich den Fahrtwind um die Nase wehen zu lassen, das gab es damals noch.)
Die Gegend verändert sich. Nordböhmisches Industriegebiet wechselt mit wilden Felsen und unlieblicher Landschaft.
Kaffeedurst.
Misstrauen.
Irgendwann beschwor ich Strizzi  stumm, meine Katze gefälligst in Ruhe zu lassen, ging Kaffeetrinken, kam zurück und, natürlich fand ich Katze schlafend, unversehrt. Happy End, und das noch lang vor Dresden.

Schauplatzwechsel: Berlin, spät am Abend, früh in der Nacht. Ich stieg aus der Tram, noch das abendliche Event im Kopf, und da stieg noch einer aus, ging auf einmal neben mir her und machte Konversation in urberliner Mundart. Einer mit gefühlten 25 Generationen Berlin-Background. Einer, der gut 15 Jahre jünger war als ich. „Kommste aus Ösiland? – „Ja.“
Und immer so fort. Und immer sehr nett und sehr höflich.
Zwei auf dem selben Heimweg?
Vorm Haus mit dem schäbigen Eingangstor, wo dahinter ein reichlich versiffter Hinterhof zu meinem Hinterhaus führte, sagte der junge Mann einfach nur tschüs, viel Spaß noch in Berlin. Weg war er. Hatte seine Mission erfüllt, die Fremde sicher durchs wilde Friedrichshain zu geleiten, das damals noch fern von jeder Gentrifikation ein wirklich „gefährliches“ Pflaster war.

Angst, Misstrauen oder Vertrauen – Was für ein Zeichen zeigt uns den Weg?
Braucht mensch Instinkt und Geruchssinn wie ein Hund?
Was ist es, das ein unbekanntes Gegenüber verdächtig scheinen lässt? Gibt es eine Art Harmlosigkeitsausstrahlung, durch die Haut, aus den Augen? Wann wie wo warum schrillen Alarmglocken?
Mir kommt vor, mit zunehmendem Alter funktionieren die Sensoren besser. Nach und nach, mit Option für Irrtümer ab und zu.
Doch, Jugend und Kinder brauchen genau diese Fähigkeiten viel dringender!

 

 

Die Stimmen

von innen und noch weiter drin streiten seit Monaten und kämpfen einen aussichtslosen Kampf:

Ich will nicht. Alles zu anstrengend, zu viel. Zu bä./
Und, was ist es, das du willst? /
Ruhen. Denken. Der Welt zuschauen, wie sie sich dreht. /
Du findest, dass das ausreicht? /
Ja. Bin nun mal mehr fürs Kontemplative. /
Aber, was wäre, wenn alle so denken wie du? /
Von mir aus darf jeder denken, was er will. /
Oke oke, und was wäre, wenn jeder so handelt wie du? /
Tut nicht jeder. Sieht man ja an der Hektik überall. /
Sie alle – fast alle – dort draußen tun auch was für andere! /
Ja und? Wenn ich kontempliere und gute Gedanken nach dort draußen sende, bin ich nicht auch – na schön: nicht wohltätig, aber – wohldenkend? /
Doch, aber. Ach, mach was du willst. /
Danke. Und rück mir bitte gleich mal den Liegestuhl zurecht!

Ein Graben,

tief und voll Geröll. Keine Chance, den zu überwinden, weil, da türmten sich noch andere Hindernisse: Biogemüse oder nicht, Biorhythmus verkehrt, Jahre und ihre Essenz und abschätziges Grimmassieren genau deswegen, und komische Kleidung, schräger Geschmack  (Sushi. Ingwersuppe. Reissalat. Und Apero. Weiß bis heute nicht, was das ist). Dazu ein paar unnötige Vorwürfe, zwei schmutzige Teller, Vergesslichkeit und Missverständnisse. O, und ein Schweigen, wochenlang, sekundenlang.
Und dann ein Lachen, ein Song. Ausgrabung aus gemeinsam erlebter Zeit – schon ist der Graben zugeschüttet und mit Sommerblumen bepflanzt. Wir gingen zwei Schritte und reichten einander die Hände, dankbar und froh.
(Gute Erlebnisse, immer wieder. Ein Glück.)

So anders die Gegend zu einem anderen Zeitpunkt. Massives Gestein, hier wie drüben, nutzbringende Pflanzen und auch paar Tiere auf beiden Seiten des Grabens, der nichts als ein Gräblein war. Freundliche Worte flogen hin und her, sie klangen nach gemäßigtem Konsens. Zuverlässige Briefkästen, surrende PCs, empfangsbereit jederzeit.
Mit einemmal verlor der Graben seine Harmlosigkeit, und eine politische Aussage von drüben schoss in die Höhe wie Höllenglut, der Himmel schickte Blitze und ich sagte „Nein. So nicht. Ende.“
(5.5. 2023)

Der Knall am frühen Winterabend

kam unerwartet. „Wer schießt dort draußen rum?“, fragte ich mich und ging raus in den Hof. Alles finster. „Wer hat die Lampe im Schuppen erschossen?“, lautete meine nächste Frage, und ich nahm Mut und Taschenlampe, um den Fall zu untersuchen.
Ergebnis: Der Wind hatte die Schuppentür zugeworfen. Drin die Lampe, die ruhig weiterleuchtete.
Trotzdem, ein wenig Sorge blieb zurück (Angst? – auf keinen Fall!): Wer hätte mich in einer echt gefährlichen Situation beschützt? Nachbarn, wenn meine Rufe laut genug und die Hilfe rechtzeitig erfolgt wären? Ja, sicher. Polizei? Ach bitte, weil, zuerst mal das Handy finden.
Rettung von oben? Sturm, Blitz und Donner?
Ich wäre die erste, die sich verkriecht.
Und weiter, nach ganz oben, wo der blaue und der graue Himmel sich wölben und nur mäßige, wetterabhängige Freundlichkeit signalisieren. Jenseits davon aber Kälte und Gleichgültigkeit. Nichts, das ein leises „wie traurig!“ ausgerufen hätte, wäre ich durch den Knall getötet worden. Teilnahmslosigkeit auch allen anderen Milliarden Lebewesen gegenüber, das sollte man ebenso nüchtern zur Kenntnis nehmen. Himmelszelt, ein trügerisch-tröstliches Wort für: Wenn du Schutz brauchst, kümmer dich selbst darum, dummes Ding!
Die Gedankenreise bringt mich auf schnellstem Weg zurück nach Hause, wo ich erst mal zusperre, was Schlüssel und Schloss besitzt. Dann: Alles verrammeln. Die im Inneren entstandene Höhle weich und wohnlich gestalten. Wolle rundherum, Pullover, mindestens drei. Mich einrollen und selig vergessen, was drohen könnte…-
Was eine trügerisch-tröstliche Befindlichkeit, die einem Tausende von imaginierten Schrecken durchs Bewusstsein jagt, so lange, bis ich die Höhle niederreiße, ausbreche und durch die stillen Gassen rufe: „Hört her, ihr Lieben, hier ist meine Hand, hier meine Furchtlosigkeit! Wenn irgendwer von euch in Not ist, sagt es nur, denn in mir schlummert ein Löwe mit Mut, der auch vor dem entsetzlichsten Knall (in Haus und Hof) die Nerven bewahrt!