Schafe
Vor kurzem fragte mich eine junge Dame: „Was wärst ‘n gern geworden, wenn du nochmal wählen dürftest?“, und ich sagte darauf ohne nachzudenken: „Wanderschäferin.“
Antwort: „Das wär aber viel Verantwortung.“
Ja. Ich hätte Tag und Nacht Sorgen. Lahme Lämmer, unerkannte Krankheiten, komplizierte Geburten, Autos auf Abwegen, Wölfe im Dickicht. Barbaren, die meinen Tieren an die Wolle wollen und ans Blut. – Und kein Handy.
Andererseits: Blöken und Bellen, Natur und Himmel (und Sauwetter, manchmal). Vor allem kein loses Geschwätz. Die Abwesenheit von fremden Worten und Gedanken hätten mit der Zeit meine eigenen an die Oberfläche gespült. Und ich hätte sie vergessen ohne Bedauern. Vielleicht, an einem klaren Morgen nach trüber Nacht, hätten sich glückliche Zeilen zu einem Gedicht geformt. Aus einer was-wäre,-wenn-Spinnerei wäre der Anfang einer Story geworden. Von Lohn oder Sozialhilfe hätte ich ein paar Schillinge gespart, um Schreibzeug zu kaufen. Um Es auszuprobieren: Wie fühlt es sich an, zu lesen, was eben nur unbeachtet in meinem Kopf herumlungerte?
(Das alles nur, wenn die beiden Schäferhündinnen Sappho und Virginia, gerufen Gini, sich treu um die Schafe kümmerten)
„Aber!“, wenden kritische Stimmen ein, von oben, von rechts-links, vom Getümmel dort draußen her, „aber du machst es dir leicht. Du entziehst deine Kräfte der menschlichen Gesellschaft.“ –
„Ja. Nur, ich mit mir, auch das ist menschliche Gesellschaft.“
„Ausrede“, höre ich, und dann kommt ganz schlimmer Vorwurf, in dem es um soziales Engagement geht, um Zuwendung und Bewirken, um gesellschaftliche Teilhabe.
„Ja.“
Es hat keinen Sinn, weiterzustreiten. Weil, eben schaue ich eine fast unwirkliche Erscheinung. Wie Abenddämmerung ohne Abend. Abschied ohne die Zusammengehörigkeit-davor. Tod wird alles mit sich nehmen, das Verweilen in Solitude, das Aufgehen in Hingabe (und das alles), die echten Romane und die Geschichten im Kopf. Aus und vorbei, bald vergessen.
„Aber“, singen die kritischen Stimmen im Chor, „es sind die Augenblicke der Zuwendung, die zählen. Sie nisten sich ein im Gegenüber und keimen. Sie treiben aus und bilden Früchte. Deren Samen verwehen im Wind, vielleicht. Oder, sie landen auf einem fruchtbaren Du.
„Ja, eh“, sag ich nur und schweige eine lange Zeit. Und zieh mir die Kapuze meines Schäferinnenmantels tief übers Gesicht, als wollte ich mich schämen.